Der lange Weg zurück zur Normalität

Corona – und kein Ende in Sicht. Auch nach zwei Jahren Pandemie ist unser Alltag belastet. Trotz sommerlicher Temperaturen steigen die Infektionszahlen. Die hitzeresistente Omikron-Subvariante beschert uns eine Corona-Sommerwelle. „Drinnen wieder Maske tragen“, empfiehlt der Bundesgesundheitsminister. Wie lange noch?

13 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen – mit gravierenden Folgen

Studien belegen: Es ist vor allem die junge Generation, die unter der Pandemie leidet. Schulen und Kitas geschlossen, soziale Kontakte reduziert, Freizeitgestaltung eingeschränkt – für 13 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland hat Corona das Leben gleich zu Beginn grundlegend verändert. Bis jetzt heißt es: Schule zu, Schule auf, Maske rauf, Maske runter, testen ja, testen nein.

Viele Schülerinnen und Schüler haben in der Pandemiezeit weniger gelernt. Verlässliche Zahlen zu Bildungsrückständen lassen sich erst feststellen, wenn die Rückkehr zum Präsenzunterricht weiter fortgeschritten ist. Aber schon heute wissen wir: Die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche sind gravierend – ebenso übrigens für das Lehrpersonal. Eine aktuelle Forsa-Umfrage belegt: Die Lehrkräfte gehen davon aus, dass sie – übrigens auch aufgrund des Lehrkräftemangels – den Bedürfnissen ihrer Schülerinnen und Schüler kaum gerecht werden: weder beim Aufholen der Lernrückstände noch bei der Förderung des psychosozialen Wohlbefindens.

Es verwundert nicht, dass die COPSY (Corona und Psyche)-Studie des Uniklinikums Hamburg, die Auswirkungen und Folgen der Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen untersucht, deutlich sichtbar macht, wie stark sich die mentale Gesundheit dieser Bevölkerungsgruppe in Deutschland verschlechtert hat. Ob die von Bund und Land beschlossenen Förderprogramme „Aufholen nach Corona“ und „Ankommen nach Corona“ wirklich helfen können, die Situation von Kindern und Jugendlichen entscheidend zu verbessern, bleibt abzuwarten.

Selbstvertrauen stärken – mit individueller Betreuung

Wir alle stellen fest: Die Corona-Pandemie hat große Auswirkungen auf den Alltag, auf die Zufriedenheit und das Wohlbefinden jedes einzelnen, auf Kinder, Jugendliche, Erwachsene, ja auf das gesamte familiäre und gesellschaftliche Zusammenleben. In der Aufarbeitung darf es daher nicht nur darum gehen, Wissenslücken bei Schülerinnen und Schülern zu schließen, sondern auch dort einzugreifen, wo möglicherweise physische und psychische Beeinträchtigungen entstanden sind. Die Frage ist nur: Wie?

Ein Weg: Persönliches Mentoring und Coaching kann helfen. Damit haben wir in der Walter Blüchert Stiftung seit 10 Jahren gute Erfahrungen gesammelt. In unseren Projekten geht es stets darum, zu motivieren und das Selbstvertrauen derjenigen zu stärken, die Probleme haben: sei es in der Schule, in der Ausbildung, auf dem Arbeitsmarkt oder im Alltag als Alleinerziehende. Bei jedem unserer Programme – ob angekommen in deiner Stadt, durchstarten, gut:gehen, hochform, neustart, was geht! oder wir2 – steht das individuelle Begleiten und Betreuen im Vordergrund.

Um akut Kindern in der Grundschule Hilfe anzubieten, haben wir vor einigen Monaten innerhalb kürzester Zeit das jüngste Programm gut:gehen auf die Beine gestellt. Das Mitmach-Angebot begleitet die Schülerinnen und Schüler der 2. bis 4. Klassen. Mit Spielen und Übungen, Elementen wie Bewegung, Tanz, Schauspiel, Musik und Körpergefühl will das Bielefelder Pilotprojekt das Selbstbewusstsein, die Lebensfreude und Konzentrationsfähigkeit der Kinder stärken und so möglichen psychosozialen Beeinträchtigungen entgegenwirken.

Vielfältige Belastungen – steigende Risiken

In der Pandemie hat vor allem unser wir2-Projekt an Bedeutung gewonnen; denn die Gruppe der Alleinerziehenden, die sich oft mit anhaltenden Beziehungsproblemen auseinandersetzen muss, leidet einmal mehr unter den Corona-Belastungen. Die Krise hat die ohnehin schon vielfältigen Probleme der Betroffenen – wie finanzielle Sorgen, ungesunde und beengte Wohnverhältnisse, psychische Belastungen etc. – weiter verschärft.

Arbeitslosigkeit, fehlende Kinderbetreuung, Isolierung und Zukunftsängste erhöhen das Risiko von chronischen psychosomatischen Erkrankungen und psychischen Störungen. Oft folgen Depressionen, Angststörungen oder Suchtprobleme. Auch das kindliche Risiko für psychische Beeinträchtigungen steigt – mit Folgen, die mitunter bis ins spätere Erwachsenenleben nachweisbar sind.

wir2 wurde der Anker in meinem Alltag“

Das wir2- Programm vermittelt handfeste Selbsthilfe-Strategien, die Alleinerziehende und ihre Kinder stärken. Es gibt ihnen Kraft und Selbstvertrauen für das Leben in der Ein-Eltern-Familie.

Wie dieses emotions-basierte Bindungstraining funktioniert, beschreibt unser neu erschienenes Buch „Lasst uns nicht allein!“ (Herder Verlag) anhand zahlreicher Beispiele. Der Autor Rocco Thiede schildert in seinen Gesprächen mit Alleinerziehenden, was sie erlebt haben und welche Erfahrungen sie mit den wir2-Angeboten machen konnten – ob bei ambulanten Workshops, im Kompakt-Programm, in der Reha oder bei der Online-Version wir2@home. „wir2 wurde der Anker in meinem Alltag“, so das Fazit einer alleinerziehenden Mutter.

Ein wenig aufatmen

Die Probleme sind erkannt – viele Akteure in Bund und Land, in den Kommunen, Vereinen und Hilfseinrichtungen engagieren sich, um die Folgen der Pandemie in den Griff zu bekommen. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam den richtigen Weg finden.

Ein wenig können wir gerade aufatmen – Corona ist für die meisten Menschen deutlich weniger lebensbedrohend geworden. Aber der Weg zurück zur Normalität wird lang. Die viel zitierte Zeitenwende entwickelt gerade eine ungeheure Dynamik. Da fällt es schwer, sich inmitten von Kriegs-Rhetorik, steigenden Inflationszahlen, Energie-Engpässen, Lieferketten-Problemen, Fachkräfte-Mangel und vermehrten Klima-Katastrophen die neue Normalität vorzustellen. Kommt Zeit, kommt Rat…

Bleiben wir optimistisch!

Ihr

Gunter Thielen