Fakten und Zahlen: Alleinerziehend in der Pandemie

Prof. Dr. Matthias Franz

Nachgefragt: Wie kommen Alleinerziehende und ihre Kinder durch die Corona-Zeit? Prof. Dr. Matthias Franz, Universitätsklinikum Düsseldorf, informiert über zahlreiche Studien, Ergebnisse und Spätfolgen der Corona-Einschränkungen.

In deutschen und internationalen Studien wurde untersucht, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie für Alleinerziehende und ihre Kinder hat. Ihr Team hat einen Überblick der Umfragen zusammengestellt. Lassen sich die Ergebnisse aus dem 1. Halbjahr 2020 kurz zusammenfassen?

Prof. Franz: Wir haben die vorliegenden Studien gesichtet. Alle belegen: Die besonders verletzliche und belastete Gruppe der Alleinerziehenden und ihre Kinder leiden deutlich stärker unter den Corona-Einschränkungen. Bei der Nordamerika-Studie von Hertz, Mattes & Shook zum Beispiel geben 98,8% der Befragten an, sozial isoliert zu sein, und mehr als die Hälfte beklagt, dass sie keine Hilfe bei der Kinderbetreuung erhalten.

Aufgrund der häuslichen Verpflichtungen verschlechterte sich die Arbeitsproduktivität: Für den Großteil der Alleinerziehenden ist es schwierig, den neuen Alltag mit den Kindern zu Hause zu bewältigen und Zeit für sich selbst zu finden. In Deutschland arbeiteten 65 % der Alleinerziehenden in einem Beruf, dem sie nicht im Home-Office nachgehen konnten. Die durchschnittliche subjektive Belastung durch die Schulschließung fällt bei Alleinerziehenden signifikant höher aus als bei Eltern in Paarhaushalten. Zwar sind Frauen und Männer hierzulande gleichermaßen von Kurzarbeit betroffen (14,4% vs. 14,3%), aber bei Frauen wurde das Kurzarbeitergeld deutlich seltener aufgestockt als bei Männern.

Was sagen die Ergebnisse der Studien über die speziellen Corona-Hilfen der Bundesregierung für Alleinerziehende aus? Reicht die Unterstützung aus? 

Prof. Franz: Es hat sich einiges getan: Wie der Verband der Alleinerziehenden Väter und Mütter (VAMV e.V.) berichtet, steigen der Kindesunterhalt sowie der Unterhaltsvorschuss und die Regelsätze. Der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende ist auch im Jahr 2021 wegen der Mehrbelastungen von Alleinerziehenden in der Corona-Krise auf 4.008 Euro erhöht. Das Angebot der Kinderkrankentage soll verdoppelt werden etc. Viele können von diesen Hilfen profitieren.

Aber es braucht ja mehr als finanzielle Unterstützung. In Zeiten von Corona leidet die vulnerable Gruppe der Alleinerziehenden, die sich oft mit anhaltenden Beziehungsproblemen und Überforderung im familiären Alltag auseinandersetzen muss, zusätzlich unter den neuen Belastungen durch Kontaktverbote und soziale Marginalisierung. Vor allem Einsamkeit und Zukunftsängste verstärken das Risiko psychosomatischer Erkrankungen.

Aufgrund der komplexen und etwa bei der Hälfte der Alleinerziehenden jahrelang anhaltenden Mehrfachbelastungen bestehen bei ihnen sowieso schon erhöhte Häufigkeitsraten für psychosomatische Erkrankungen, Schmerzen, Befindlichkeitsstörungen und psychische Störungen. Vor allem Depressionen, Angststörungen, Rauchen oder Substanzmissbrauch treten bei Alleinerziehenden zwei- bis dreimal so häufig auf wie bei Eltern in Partnerschaften.

Und auch die Kinder der Betroffenen können unter dem Corona-bedingten Kontaktverbot zusätzlich leiden: Es ist erwiesen, dass Konflikte, elterliche Überforderung und eingeschränkte Elternkompetenzen das kindliche Risiko für psychische Beeinträchtigungen erhöhen und zu Problemverhalten führen können, deren Folgen bis ins spätere Erwachsenenleben nachweisbar sind. Daher ist es wichtig, dass Ärzte, Psychotherapeuten, Jugendämter und Kommunen diese Risikogruppe im Auge behalten und Hilfen anbieten – sowohl zeitnah als auch nach dem Ende der Pandemie.

Wie kann man den Spätfolgen begegnen, die aufgrund der Corona-Belastungen zu erwarten sind?

Prof. Franz: Ich gehe davon aus, dass sich viele Alleinerziehende – mehr als vor der Pandemie – Unterstützung und Beratung suchen werden. Präventiv kann im Rahmen unseres gestuften Versorgungsangebotes beispielsweise das ambulante Elterntraining wir2 helfen, das belasteten Alleinerziehenden mit Kindern von drei bis zehn Jahren bundesweit zur Verfügung steht: wohnortnah, mit Kinderbetreuung und für Alleinerziehende kostenlos. Das wir2-Programm wird in der höchsten Evidenzkategorie der Grüne Liste Prävention gelistet und vom GKV-Bündnis für Gesundheit sowie im ersten Nationalen Präventionsbericht als Modell guter Praxis aufgeführt.

Psychosomatisch erkrankten Alleinerziehenden kann ein Klinikaufenthalt helfen. Am Düsseldorfer Universitätsklinikum haben wir für diese Mütter ergänzend zwei weitere Programmvarianten für die stationäre psychosomatische Rehabilitation entwickelt: Die Allgäuer Maximilian Klinik und andere Psychosomatische Fachkliniken bieten beispielsweise das Bindungstraining „wir2kompakt“ als dreiwöchige von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierte Reha-Maßnahme für Eltern und Kinder an. Außerdem haben wir „wir2Reha“ entwickelt: Diese Rehabilitationsmaßnahme richtet sich – zunächst im Rahmen einer von der DRV und dem BMBF geförderten Studie – an hoch belastete Alleinerziehende, deren Erwerbsfähigkeit aufgrund chronifizierter psychosomatischer Beschwerden bedroht ist.

Diese Programmvariante von wir2 bieten auch während der Pandemie beispielsweise die Celenus-Klinik Schömberg und die DEKIMED Klinik in Bad Elster alleinerziehenden Eltern als sechswöchigen Klinikaufenthalt in der psychosomatischen Rehabilitation an, und zwar einschließlich begleitender Betreuung für drei-bis zwölfjährige Kinder.  Alle wir2-Varianten zeigen deutlich positive Wirkung.

Kontakt:

Prof. Dr. Matthias Franz, Tel. 0211-81.18338, E-Mail: matthias.franz@uni-duesseldorf.de

Weiterführende Links:

Projekt „wir2Reha“: http://www.reha-alleinerziehende.de 

Projekt „wir2 Bindungstraining für Alleinerziehende“: https://www.wir2-bindungstraining.de/

Celenus Klinik Schömberg: https://www.klinik-schoemberg.de/

Celenus Klinik Bad Elster: https://www.dekimed.de/klinik/