Leistungen bündeln, finanziell entlasten, Prävention ausbauen: Fachtagung fordert Unterstützung für Alleinerziehende

Köln / Gütersloh, 31. Januar 2019 – Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst bei nur einem Elternteil auf. Vielen gelingt ein glückliches Familienleben, viele fühlen sich aber auch stark belastet und haben deutlich größere Gesundheitsrisiken als Eltern in Paarbeziehungen. Aber anstatt sie möglichst umfassend zu unterstützen, machen ihnen Bürokratie, Steuergesetze und mangelnde Transparenz über Hilfsangebote zusätzlich das Leben schwer. Auf der Fachtagung „Was (Ein-Eltern-) Familien brauchen“ diskutierten am vergangenen Dienstag rund 250 Experten darüber, wie die Situation verbessert werden kann. Ihre wichtigsten Forderungen: Staatliche Kompetenzen und Leistungen müssen besser gebündelt, die Betroffenen von Steuern und Abgaben entlastet und nachweislich wirksame Präventionskonzepte möglichst flächendeckend in den Kommunen umgesetzt werden.

Aktuelle Zahlen verdeutlichen den Handlungsbedarf. So erhalten von den 2,4 Mio. Kindern aus Ein-Eltern-Familien knapp die Hälfte keinen Unterhalt von dem getrenntlebenden Elternteil. Rund 700.000 Kinder erhalten Unterhaltsvorschuss vom Staat. Viele Alleinerziehende beantragen diese Leistung jedoch nicht. „Gerade wenn der unterhaltspflichtige Elternteil unregelmäßig zahlt, muss die Leistung jeden Monat aufwändig neu berechnet werden. Vor diesem bürokratischen Aufwand kapitulieren viele Mütter und verzichten auf das Geld, das ihnen eigentlich zusteht“, sagte Prof. Dr. Anne Lenze von der Hochschule Darmstadt. Deutschland sei im europäischen Vergleich außerdem das Land, das mit Steuern und Abgaben am stärksten auf die Einkommen von Alleinerziehenden zugreift, so Lenze weiter. „Wir brauchen vor allem im Niedriglohnbereich dringend den Einstieg in eine Kindergrundsicherung, um die Betroffenen aus der staatlichen Abhängigkeit zu befreien und Berufstätigkeit nicht finanziell zu bestrafen.“

Zu viele Anlaufstellen, zu viel Bürokratie, zu wenig Unterstützung

Wie die Mehrheit der Fachtagungsteilnehmer aus Kommunen und von sozialen Trägereinrichtungen beklagte sie den „Leistungswirrwarr“ der verschiedenen Behörden, dem die Alleinerziehenden überwiegend hilflos gegenüberstünden. Zuständigkeiten müssten stärker gebündelt, Ansprechpartner vor Ort benannt und Unterstützungsmöglichkeiten leichter zugänglich gemacht werden. In Umfragen wünscht sich der Großteil der Alleinerziehenden auch mehr Hilfe bei Behördengängen. Für den Entwicklungspsychologen Prof. Dr. Peter Zimmermann von der Bergischen Universität Wuppertal ist Bindung eine zentrale Voraussetzung für die Entwicklung psychischer und körperlicher Gesundheit von Alleinerziehenden und ihren Kindern. Frühzeitige Prävention im Bereich der elterlichen Feinfühligkeit und im Aufbau sicherer Bindungen der Kinder können wesentlich dazu beitragen, die oft vielfältigen familiären Belastungen zu bewältigen und Resilienz zu entwickeln. „Nicht die Alleinerziehenden sind das Problem. Die unzureichende Unterstützung ist das Problem“, ergänzte Prof. Matthias Franz vom Universitätsklinikum Düsseldorf. So erkrankten Alleinerziehende etwa dreimal häufiger an Depressionen als Mütter und Väter aus Paarfamilien. Auch ihre Kinder seien dadurch oft mitbetroffen, was sich in einer selteneren Teilnahme an U-Untersuchungen oder Verhaltensauffälligkeiten zeige. Der Psychosomatiker und Psychotherapeut sieht die Gesellschaft in der Bringschuld: „Wir müssen die Alleinerziehenden stärken und ihnen das Gefühl geben, gute Mütter zu sein, statt sie zusätzlich mit Schuldgefühlen zu belasten“, so Matthias Franz.

Wirksame Unterstützungskonzepte konsequent umsetzen

Einen wichtigen Beitrag dazu können nachweislich wirksame Präventionsangebote wie das von Prof. Dr. Franz entwickelte Bindungstraining „wir2“ leisten. Darin lernen Alleinerziehende unter fachkundiger Anleitung, besser mit belastenden Alltagssituationen umzugehen und dem Kind eine sichere Bindung zu vermitteln. Das von der Walter Blüchert Stiftung geförderte Programm wird gemeinsam mit verschiedenen Kooperationspartnern inzwischen bundesweit an mehr als 30 Standorten angeboten. „Das Programm ist wissenschaftlich evaluiert, zeigt messbare Wirkung und steht direkt zum Einsatz bereit. Was wir jetzt brauchen, sind mehr Kommunen und Kooperationspartner, die es vor Ort umsetzen, um die Alleinerziehenden spürbar zu entlasten“, so Stiftungsvorstand Prof. Dr. Gunter Thielen. Zu der Fachtagung in Köln hatte die Gütersloher Walter Blüchert Stiftung in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Düsseldorf, dem Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln sowie der Landschaftsverband Rheinland bundesweit eingeladen. Moderiert wurde sie von der Fernseh-Journalistin Brigitte Büscher.