Zwischenruf: Jahresrückblick 2015 der Walter Blüchert Stiftung
„Selbstvertrauen stärken – Zuwendung geben – Kompetenzen fördern“
Eine der ganz großen Aufgaben in unserem Land war in diesem Jahr die Bewältigung des unglaublichen Flüchtlingsstromes. Mehr als eine Million Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten sind zu uns geflohen. Sie haben meist nichts außer ihrem Leben und benötigen nicht nur Unterkunft, Verpflegung, Kleidung und Geld, sondern auch Gesten des Willkommens sowie konkrete und langfristige Unterstützung bei der Integration in unsere Gesellschaft. Gelingt die Integration, wird Deutschland vielfältiger, bunter und multikultureller – kurz reicher. Was jedoch passiert, wenn sie nicht gelingt, bekommt man in den Vororten von Paris und Brüssel drastisch vorgeführt: eine gespaltene Gesellschaft mit Frustration, Hoffnungslosigkeit und Gewalt. Integration ist ein langwieriger und über Jahre gehender Prozess und betrifft junge und ältere geflohene Menschen gleichermaßen. Der Schlüssel zu allem ist jedoch Bildung, sowohl Schul- und Universitätsbildung für junge Menschen als auch Bildung in Fragen des Miteinander, der kulturellen Besonderheiten, Toleranzbildung und Lernen über das Leben in Deutschland. Hier können Stiftungen und NGOs die staatlichen Bemühungen wirkungsvoll unterstützen und verstärken.
Die Walter Blüchert Stiftung hat sich zur Aufgabe gemacht, Menschen zur Seite zu stehen, die ohne Hilfe persönliche und auch gesellschaftliche Hürden und Barrieren kaum überwinden können, und für die es schwierig bis unmöglich ist, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Derzeit konzentriert sich unsere Projektarbeit sowohl auf junge Flüchtlinge als auch auf junge Deutsche mit Förderbedarf, denen wir schulintensive Bildungshilfen anbieten, damit sie in Deutschland Aufstiegschancen haben.
Wir erarbeiten Leuchtturmprojekte, die nachhaltig und effizient wirken: best practices mit Modellcharakter. Unser Ziel ist es, den Menschen, die wir fördern, Zuwendung zu geben, ihr Selbstvertrauen zu stärken und ihre Kompetenzen auszubauen.
angekommen in deiner Stadt Dortmund
Wir haben – gemeinsam mit dem Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW und der Stadt Dortmund als Kooperationspartner – ein Bildungs- und Betreuungsmodell entwickelt, das maßgeschneidert auf die Bedürfnisse von Flüchtlingen und Zuwanderern zwischen 16 und 25 Jahren zugeschnitten ist und auch unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen hilft. Zum Modellprojekt „angekommen“ gehören flexible, durchlässige Schulklassen an Berufskollegs und ein Begegnungshaus, in dem die Jugendlichen nach der Schule zusammenkommen und sich besser kennenlernen: Seit dem Start im Februar 2015 sind in Dortmund bereits neun Berufskollegs mit mehr als 450 Schülerinnen und Schülern in dem Projekt. Eine ehemalige Hauptschule wurde zum Lern- und Begegnungshaus umfunktioniert: Im „Adam´s Corner“ finden die Jugendlichen einen geschützten Raum außerhalb der Schulzeiten, erhalten zusätzlichen Deutschunterricht, sozial-pädagogische Betreuung, ein vielfältiges Beschäftigungsangebot von Sport über Handwerk bis Kochen, das sie mit dem deutschen Alltag vertraut macht – auch in den Ferien. Wichtige Schritte auf dem Weg zu einer gelungenen Integration!
Das Interesse an diesem Programm ist groß. Wir sind mit mehreren Städten in NRW im Gespräch, die Interesse am Dortmunder Pilotprogramm zeigen. In Münster werden wir Anfang 2016 starten. Bielefeld und Recklinghausen wollen ebenfalls nach diesem Modell vorgehen. Wenn sich „angekommen“ auch im Verbund mit weiteren Bundesländern und kommunalen Partnern realisieren lässt, würde uns das sehr freuen.
„hochform“ für Akademiker mit Flüchtlingsstatus
Die Walter Blüchert Stiftung hat zusammen mit der Deutschen Universitätsstiftung ein Projekt entwickelt, das Akademiker mit Flüchtlingsstatus fördert, und zwar in den MINT-Fächern, in denen in Deutschland Fachkräfte gesucht werden. „hochform“ ist zum Wintersemester 2015/16 gestartet, wir haben im November 2015 die ersten zwanzig Stipendiaten aufgenommen.
Wer mit seinem aktuellen Bildungsstand trotz akademischer Abschlüsse keine Chance auf angemessene Arbeit in Deutschland hat, wird durch das Programm in ein bis zwei Jahren so geschult, dass er fit wird für den deutschen Arbeitsmarkt und gesellschaftlich integriert ist. Ziel des Programms ist, dass diese jungen Menschen einen zusätzlichen akademischen Abschluss (MBA) erreichen und ihnen dadurch der Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt gelingt. Das Besondere ist die Eins-zu-eins-Betreuung jedes Studenten durch einen Professor. In beiden Flüchtlingsprojekten will unsere Stiftung strukturelle Hindernisse beseitigen, neue Ideen für die Nutzung vorhandener Begabungen entwickeln und mit Kooperationspartnern zusammenarbeiten – ob in den Städten, Kommunen, in der Landesregierung oder im Stiftungssektor.
„durchstarten in die Ausbildung“ im Kreis Gütersloh und Herford
Aber manchmal sind auch die Initiativen Einzelner besonders wertvoll. Es gibt derzeit leider viel zu viele Jugendliche, die sich vergeblich um einen geeigneten Ausbildungsplatz bemühen, weil sie nicht den geforderten Schulabschluss haben. Diesen Jugendlichen trotzdem zu einer Lehrstelle zu verhelfen und sie über Jahre intensiv zu begleiten und zu betreuen, erfordert hilfsbereite Menschen mit einem großen Herzen und der Bereitschaft, sich persönlich ganz stark mit den Jugendlichen zu beschäftigen, damit sie durchhalten und es nicht zu Abbrüchen kommt.
Nach dem Vorbild des Jugend- und Solidaritätsfonds, Herford, haben wir das Projekt „durchstarten in die Ausbildung“ gegründet. Zwei ehrenamtliche Helfer suchen Ausbildungsplätze in meist kleineren Handwerksbetrieben und vermitteln die Jugendlichen. Die Walter Blüchert Stiftung finanziert dabei einen wesentlichen Teil der Ausbildungskosten. Insgesamt konnten allein in diesem Jahr etwa 20 Azubis aus dem Kreis Gütersloh/Bielefeld und Herford vermittelt werden. Eine Partnerschaft, die auch für den Ausbildungsbetrieb interessant ist. Wir sind sehr dankbar für diesen großartigen Einsatz. Für die jungen Menschen ist diese zweite Chance eine ganz wichtige Weichenstellung für ihr gesamtes Leben.
„was geht!“ und „wir2“: Programme für Jugendliche und Alleinerziehende
Von Beginn an haben wir Jugendliche und Alleinerziehende in unserem Fokus. Die bestehenden Projekte „was geht!“ und „wir2“ haben sich bewährt und werden stetig weiterentwickelt.
Zum Schuljahresbeginn 2015/16 wurde in das Gütersloher Pilotprojekt „was geht!“ ein weiterer Realschuljahrgang mit mehr als sechzig Schülerinnen und Schülern aufgenommen, so dass derzeit rund 160 Jugendliche von unserer Stiftung betreut werden. In Vorbereitung sind weitere Standorte in Deutschland.
Für unser Programm „wir2“ konnten wir in diesem Jahr zahlreiche Mitwirkende in Kommunen und Organisationen gewinnen, die den betroffenen Alleinerziehenden mit dem wir2-Bindungstraining beim Stress-Abbau helfen, ihr Selbstbewusstsein stärken und ihnen die Bedürfnisse der Kinder nahebringen. An vielen Standorten finden bereits wir2-Kurse statt. Seit 2015 kooperieren die Städte Neuss, Hilden und Dormagen als Premium-Partner. Derzeit laufen weitere vielversprechende Gespräche mit den Erzdiözesen Köln und Paderborn sowie mit dem Uniklinikum Düsseldorf. Die Chancen für eine Zusammenarbeit stehen gut, so dass im Jahr 2016 immer mehr Alleinerziehende vom wir2-Programm profitieren können.
Zwei neue Förderprojekte: „Abakus“ und „dreizeit“
Auch bei den geförderten Projekten stehen Jugendliche und Kinder im Vordergrund. Hier haben wir 2015 ebenfalls zwei neue Projekte unterstützt.
Mit dem Programm „Abakus – Mein Leben zählt!“ betritt die Walter Blüchert Stiftung Neuland, hier arbeiten wir mit der Diakonischen Stiftung Wittekindshof in Bad Oeynhausen zusammen. Das Vorhaben soll Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung helfen, die ein schweres Trauma, meist durch Gewalt, erlitten haben. „Nicht therapierbar“ war bisher die landläufige Meinung. Jetzt untersuchen wir mit unserem Abakus-Projekt – und wissenschaftlich begleiteter Evaluation –, wie es gelingen kann, diesen Trauma-Patienten zu helfen.
Im neuen Projekt „dreizeit“ erleben wir, wie wichtig ehrenamtlich engagierte Menschen sind – und wie gut sich Alt und Jung verstehen. Etwa zwanzig Senioren sind derzeit in Dortmund mit insgesamt vierzig Zweitklässlern unterwegs. Sie besuchen zum Beispiel Lernbauernhöfe, bauen gemeinsam Futterhäuschen, erkunden die Landwirtschaft und die Natur und vermitteln Kenntnisse über Ernährung und Handwerk. Das Projekt führen wir gemeinsam mit der Prof. Otto Beisheim-Stiftung durch.
Danke!
Zum Jahresabschluss möchten wir allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ehrenamtlichen Helfern, Projektpartnern und Förderern unserer Arbeit, die sich mit großem Engagement für die Projekte und für die Menschen in den Programmen unserer Stiftung einsetzen, von Herzen danken. Wir wissen ihre Leistung sehr zu schätzen. Auf gute Zusammenarbeit weiterhin!
Mit den besten Wünschen für ein friedliches und erfolgreiches neues Jahr Ihr
Gunter Thielen
Vorstandsvorsitzender der Walter Blüchert Stiftung