Zwischenruf: Warum wir Stiftungen brauchen – heute mehr denn je

Prof. Dr. Gunter Thielen

Vom 16. bis 18. Mai findet der diesjährige Stiftungstag des Bundesverbands Deutscher Stiftungen statt. Das Thema der Veranstaltung lautet „Stiftungen und Digitalisierung“. Ein guter Anlass, darüber nachzudenken, welche Funktion Stiftungen heute eigentlich haben – gerade im Zeitalter der Digitalisierung, in dem innerhalb weniger Minuten soziale Bewegungen initiiert werden, man denke nur etwa an die #MeToo-Debatte. Allein in Deutschland gibt es laut Bundesverband mehr als 22.000 Stiftungen. Stiftungen, die sich dem Sport oder der Kunst widmen. Stiftungen, die Träger von Krankenhäusern, Altenheimen oder Kinderbetreuungseinrichtungen sind. Stiftungen, die Professuren und wissenschaftliche Forschung finanzieren. Stiftungen, die sich für Umwelt und Natur einsetzen und natürlich viele Stiftungen engagierter Bürger, die für mehr Lebensqualität in ihren Städten und Gemeinden kämpfen. Die Stiftungslandschaft ist bunt und vielfältig und es gibt fast kein Thema, zu dem es keine Stiftung gibt. Aber 22.000? Brauchen wir die wirklich alle? Ich maße mir nicht an, diese Frage für jede Stiftung im Detail beantworten zu können. Grundsätzlich bin ich aber fest davon überzeugt, dass Stiftungen unser Leben sehr bereichern. Und das heute mehr denn je. Denn gerade in einer Zeit, in der Menschen zuerst als Konsumenten (wir sollen on- und offline in möglichst jeder Lebenslage shoppen), Datenlieferanten (man denke an den Facebook-„Skandal“) oder potenzielle Wähler (Wahlmanipulation in den USA etc.) wahrgenommen werden, fördern und kanalisieren Stiftungen das Entscheidende in unserer Gesellschaft: die Menschlichkeit. Und das nicht nur im Rahmen einer mehr oder minder spontanen Aktion, sondern mit einem hohen Maß an Kontinuität und Verlässlichkeit. Wie machen sie das? Erstens durch die Auswahl ihrer Zielgruppe. Im Gegensatz zu vielen anderen gesellschaftlichen Akteuren selektieren Stiftungen diese nicht nach Kaufkraft oder Wählerpotenzial, sondern nach Bedürftigkeit. Ihre Unabhängigkeit erlaubt es Stiftungen dabei, auch solche Interessen und Themen aufzugreifen, die zwischen privaten und öffentlichen Belangen angesiedelt sind. Ich glaube, das ist gerade in unserer schnelllebigen, von ständig wechselnden Themenlagen gekennzeichneten Zeit ein Argument, dessen Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Viele Untersuchungen weisen außerdem darauf hin, dass die Tatsache, dass Stiftungen keine Gewinne erzielen dürfen, dazu führt, dass die Qualität ihrer Leistungen besonders hoch ist. Außerdem können Stiftungen viele Leistungen deutlich günstiger als andere Anbieter erbringen.

Stiftungen vernetzen – und schaffen so neue Ressourcen

Zweitens eröffnen Stiftungen mit ihrem Know-how, ihren finanziellen und personellen Ressourcen Möglichkeiten, die es ohne sie schlicht und ergreifend nicht gäbe. Oft schaffen Stiftungen schon allein dadurch großen Nutzen, dass sie die Kapazitäten anderer (staatlicher, nicht-staatlicher und karitativer) Institutionen vernetzen und so dazu beitragen, dass vorhandene Gelder und Ressourcen wesentlich effizienter eingesetzt werden können. Da sie trotzdem nicht staatlich und nicht Teil der öffentlichen Wohlfahrtspflege sind, können sie deutlich flexibler und unbürokratischer agieren als viele andere. Stiftungen sind drittens – wiederum anders als andere Akteure des gesellschaftlichen Lebens – nicht im kurzatmigen Denken in Quartalszahlen, Jahresabschlüssen oder Wahlterminen verhaftet und können Themen dadurch viel langfristiger und nachhaltiger beobachten, aufgreifen und entsprechende Projekte umsetzen. Dabei gelingt es ihnen, auch Öffentlichkeit für Themen und Probleme herzustellen, die sonst leicht vergessen werden – etwa, weil die zugrunde liegenden Probleme sehr komplex und erklärungsbedürftig sind, weil es um Fragen wie Krankheit oder Umweltzerstörung geht, die manchmal schwierig zu ertragen sind, oder auch, weil sie nicht das journalistische Beuteschema bedienen. Stiftungen und gemeinnützige Organisationen fördern außerdem den gesellschaftlichen Fortschritt. Beispiele dafür finden sich in vielen sozialen Bewegungen, die im Kern häufig von Vereinen und Stiftungen getragen werden oder wurden. Es geht nicht um Charity um ihrer selbst willen, sondern darum, wirklich etwas zu verändern. So wie es für die Walter Blüchert Stiftung in ihren Projekten darum geht, die Geförderten zur Selbsthilfe anzuleiten und die Barrieren aus dem Weg zu räumen, die sie an gesellschaftlicher Teilhabe hindern. Mit ihrem Auftrag und ihrer Arbeit erinnern uns Stiftungen an unseren humanitären Kern und fordern uns dazu auf, aktiv zu werden. Damit leisten sie jeden Tag einen wichtigen Beitrag zu einer freiheitlichen und wirklich sozialen Gesellschaft.

Wer etwas für andere tut, profitiert selbst auch

Und last but not least hat jedes Engagement für die Gemeinschaft, für ein übergeordnetes Ziel, für Menschen in Not – vor allem, wenn es gemeinsam mit anderen Menschen ausgeübt wird – erwiesenermaßen positiven Einfluss auf die Lebenszufriedenheit, auf das Glücksempfinden und die Lebensdauer derjenigen, die es erbringen. Wer etwas für Andere tut, der tut also auch etwas für sich! Für mich sind das starke Argumente für die Arbeit, die viele Stiftungen in unserem Land erbringen. Ich persönlich erlebe es immer wieder als große persönliche Bereicherung, wenn ich sehe, welche Fortschritte die Schützlinge in unseren Projekten erzielen und auf welchen Weg sie sich – ermuntert durch unsere Förderung – begeben: Seien es die jungen Flüchtlinge, die sich hier im Rahmen von „angekommen in deiner Stadt“ integrieren und engagiert Deutsch lernen, seien es die Alleinerziehenden, denen wir mit „wir2“ helfen, ein unbeschwerteres Leben zu führen, oder seien es die vielen jungen Männer und Frauen, die wir mit „was geht!“ beim manchmal holprigen Übergang zwischen Schule und Beruf unterstützen. Sie alle wissen, dass die Arbeit von Stiftungen ein Unterschied macht. Einen positiven. Das spornt uns – und andere – an, diesen Weg weiterzugehen. Wie gut also, dass Deutschland mit so einer reichen Stiftungslandschaft – man kann es nicht anders sagen: gesegnet ist.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr Gunter Thielen