Zwischenruf: Corona-Folgen für Kinder – Lerndefizite und Trauma-Gefahr
Insbesondere bei jungen Menschen hat Corona erhebliche Defizite hinterlassen: monatelang Lockdown, ständig wechselnde Regeln für den Alltag. Das Zusammenleben in unserer Gesellschaft ist nach wie vor belastet – bis hinein in den Schutzraum Familie. Unsichere Zeiten! Das Gefühl haben viele, auch Kinder und Jugendliche.
Lerndefizite aufholen – aber wie?
Seit mehr als einem Jahr kämpfen Schülerinnen und Schüler mit erschwerten Lernbedingungen. Wissensdefizite zeichnen sich ab. Damit die Bildungs-Ungerechtigkeit nicht weiter wächst, forderte die Bundesschülerkonferenz beispielsweise ein bundesweites Angebot für freiwillige Sommerschulen sowie kostenlose Nachhilfestunden für ärmere Familien.
In Münster ermöglichte eine Kooperation mit der Landesregierung und der Universität, dass Studierende – als Praxis-Semester und bezahlten Zusatz-Job – in den Schulen beim Aufholen der Lerninhalte helfen: „EinS-zWo“ (Einhunderttausend Stunden in 20 Wochen) so die recht sperrige Projektbezeichnung.
Auch der Deutsche Lehrverband signalisiert Handlungsbedarf. Er schlägt ein freiwilliges Zusatzschuljahr vor, um die Lerndefizite auszugleichen, falls Ferienkurse und Nachhilfe nicht weiterhelfen.
Beispiel angekommen-Herbstferienprogramme
In unserem Flüchtlingsprogramm „angekommen in deiner Stadt“ haben wir von Beginn an Lernangebote für die Ferienzeiten eingeplant. Denn auch für die zugewanderten jungen Menschen ist es wichtig, die schulfreien Zeiten zu nutzen, um sich möglichst schnell in der neuen Heimat zu orientieren und Lernrückstände aufzuholen.
Hier ein Beispiel aus dem aktuellen Herbstferien-Angebot des Bielefelder „angekommen“-Projektes: Das Ferien-Intensiv-Training FIT in Deutsch verbindet die Deutschförderung mit lebensnahen Lernsituationen und kleinere Ausflüge in Umgebung und enthält gesunde Pausensnacks, Getränke sowie ein tägliches Mittagessen – alles kostenlos. Es gibt auch Angebote wie „Begleitetes Selbstlernen online” für Deutsch, Englisch, Mathematik und andere Schulfächer, dazu zahlreiche Sport-Aktivitäten sowie Medien- und Musik-Workshops.
Nicht nur Lerndefizite
Es sind jedoch nicht nur Lernrückstände, die Kindern und Jugendlichen als Folge der Pandemie zu schaffen machen. Sie haben in den vergangenen Monaten große Verunsicherungen erlebt. Nicht nur in Kita, Schule oder im Betrieb, sondern auch zu Hause war das vertraute Zusammenleben oft nicht mehr vorhanden.
Die daraus resultierende Unsicherheit kann Ängste erzeugen: Urängste, weil klare Regeln und feste Bindungen fehlen, die bislang den notwendigen sozialen Rückhalt gegeben haben. Wenn Kinder und Jugendliche ihr Grundvertrauen verlieren, wachsen Zukunftsängste und die Gefahr von Traumata.
Physische und psychischen Beeinträchtigungen
Es ist daher wichtig, dass wir diese drohenden Folgen der Pandemie für die junge Generation nicht aus den Augen verlieren. Die bisherigen Hilfsprogramme von Regierungen und Bildungseinrichtungen konzentrieren sich auf das Nachholen von Bildung und Inhalten. Gegen Ängste und Zukunftssorgen helfen diese Unterstützungsangebote wenig bis gar nicht; denn sie beziehen weder die emotionale Lage noch die Befindlichkeiten der jungen Menschen ein.
In der Aufarbeitung der Pandemiefolgen darf es daher nicht nur darum gehen, Wissenslücken zu schließen, sondern auch dort einzugreifen, wo möglicherweise physische und psychische Beeinträchtigungen entstanden sind. Die Frage ist nur: Wie?
Mit Coaching und Mentoring das Selbstvertrauen stärken
In der Walter Blüchert Stiftung haben wir gute Erfahrungen mit Mentoring- und Coaching-Aktivitäten gemacht – zum Beispiel in den Schulprojekten „was geht!“, „durchstarten“, „angekommen in deiner Stadt“, bei der Arbeitslosen-Hilfe „neustart“ und im Universitätsprogramm „hochform“.
In allen Konzepten stehen emotionale Unterstützung und Stärkung des Selbstbewusstseins im Vordergund – übrigens auch bei unserem „wir2“-Projekt für belastete Alleinerziehende und ihre Kinder. Und es hat sich gezeigt: Dies ist der richtige Ansatz für eine erfolgreiche Stabilisierung.
Modellprojekt zur Trauma-Bewältigung als Kooperation
Aus unserer Sicht empfiehlt es sich, mit Kooperationspartner zusammenzuarbeiten, um den akuten Pandemie-Folgen und der drohenden Traumatisierungen bei Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken. Schulen, Bildungsträger, Stiftungen und Förderer sollten sich zusammentun, um sich für einen passgenauen Lösungsansatz zu engagieren. Gemeinsam können wir ein Modellprojekt entwickeln, das der jungen Generation bei der Bewältigung der Pandemie-Folgen hilft.
Es ist ein große gesellschaftliche Herausforderung, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendlichen wieder Sicherheit und Vertrauen gewinnen und mit Zuversicht nach vorn blicken. Die Zeit drängt…
Ihr
Gunter Thielen